Hl. Augustinus | © Augustiner Wien

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Die Persönlichkeit des hl. Augustinus

 

Es gibt wenige Heilige, die durch ihr Leben und Wirken und ganz besonders durch ihre gesamte Persönlichkeit einen derart tiefen und nachhaltigen Einfluss auf die gesamte Christenheit durch alle Jahrhunderte hindurch bis in unsere Zeit ausgeübt haben wie der heilige Augustinus von Hippo (heute Bone genannt).

Er ist eine Persönlichkeit, die man nicht mit einer einfachen Formel erfassen kann: ein Mensch, der die Höhen und Tiefen des Menschseins durchleben musste, ein tiefschürfender Denker, ein tiefsinniger Theologe, ein wortgewaltiger Redner, ein äußerst fruchtbarer Prediger und Schriftsteller, ein innigfrommer Mystiker, ein sorgsamer Bischof und Hirte der ihm Anvertrauten und schließlich ein Heiliger.

Das will besagen: Er hat sein Christsein oder genauer gesagt: in ihm ist das Christsein durch die Gnade Gottes zu einer derart hohen und beispielhaften Vollendung gelangt, dass er zu einem Vorbild geworden ist für die Menschen aller Zeiten. Und das um so mehr, als in ihm das Menschsein in keiner Weise "zu kurz" gekommen ist, keinen Schaden gelitten hat. Er ist voll und ganz Mensch geblieben. Er war nicht der Meinung, das Menschsein abstreifen zu müssen, um zu einem Heiligen zu werden. Er hat vielmehr ganz dem Sinn des Evangeliums entsprechend sein Menschsein geläutert und dadurch so recht zur Entfaltung gebracht.

Auch das sehen wir an ihm: Wie noch kein Meister vom Himmel gefallen ist, so auch kein Heiliger, und ganz gewiss nicht er, der heilige Augustinus. Es kostete ihm viel Mühe, und viel getreues Gnadenwirken Gottes war nötig, bis er der Heilige geworden ist, auf den wir heute schauen. Um diesen seinen Werdegang geht es uns nun im Folgenden.

 

Augustinus kommt in die Schule | Detail aus den Fresken von Benozzo Gozzoli in San Gimignano | © Augustiner Wien

Augustinus kommt in die Schule | Detail aus den Fresken von Benozzo Gozzoli in San Gimignano | © Augustiner Wien

Das Leben des hl. Augustinus

 

Als Augustinus am 13. November 354 zu Tagaste, einer kleinen Stadt in Numidien (heutiges Algerien) als Sohn kleinbürgerlicher Landsleute römischer Abkunft geboren wurde, deutete nichts auf seine spätere Laufbahn und hervorragende Stellung in der gesamten Kirchengeschichte wie des wissenschaftlichen Bereiches überhaupt hin. Alle Voraussetzungen dafür schienen zu fehlen - außer einem hellwachen Geist, der ihm selbst, aber auch seinen Eltern keine Ruhe ließ, bis er Schulen besuchen konnte, zuerst die Grundschule in Tagaste selbst, dann die höhere in Madaura, um später Rhetor und Jurist zu werden.

Augustinus war ein schwieriger Schüler, äußerst temperamentvoll und empfindlich zugleich. Hinzu kam, dass ihm in Madaura eines Tages das Geld ausging und er nach Hause zurückkehren musste. Nun sollte der 16jährige drei Jahre Müßiggang durchstehen. Und das ging, wie zu erwarten war, nicht gut.

Er schloss sich einer Bande jugendlicher Rowdies an, die es an üblen Streichen nicht fehlen ließ. Nicht zu übersehen ist dabei freilich, dass er im Elternhaus nicht jene Geborgenheit und feste Hand zugleich fand, die er nötig gehabt hätte. Sein Vater Patricius, der bis kurz vor seinem Tod Heide geblieben war, war ein jähzorniger und reizbarer Charakter, der zwar in seinem Sohn viel Ehrgeiz zu wecken vermochte, ihm aber sonst für das Leben nichts mitzugeben verstand. Seine Mutter Monika, die - aus christlicher Familie stammend - eine eifrige Christin war, konnte sich nicht durchsetzen. Sie litt an der Rohheit ihres Mannes wie an der Unzugänglichkeit und dem Leichtsinn ihres Sohnes. Beide waren zwar als Taufbewerber (Katechumene) eingetragen, aber beide kümmerten sich keinen Deut darum.

Endlich nach drei Jahren (371) fand sich ein Gönner, der dem Jugendlichen Unterstützung anbot, so dass er das Studium wieder aufnehmen konnte. Doch diese "Armen-Unterstützung" verletzte ihn tief. Er reagierte darauf beim Studium in Karthago, wohin er nun ging, mit noch mehr Ehrgeiz, als ihm ohnehin schon eigen war. Das Lotterleben, an das er sich gewöhnt hatte, gab er freilich in der Hafenstadt nicht auf. Unglücklicherweise geriet er auch in eine enge Bindung an eine nicht näher bekannte Frau, die dann die Mutter seines Sohnes Adeodatus wurde, und mit der er zusammenlebte, ohne dass eine Eheschließung folgte.

Hinzu kam eine bedenkliche innere Entwicklung, als er auf Grund seiner Erfolge derart von sich eingenommen wurde, dass er das Christentum, die Religion seiner Mutter, als eine Art "Ammenmärchen" wertete und verlachte, wobei er auch die Bibel selbst verlachte, weil sie nicht in klassischer Sprache abgefasst ist.

Da fiel ihm nun eines Tages ein philosophisches Schriftchen von Cicero in die Hände, das er mit Heißhunger verschlang. Die Lektüre des Hortensius gab seinem Geist unerwarteten Auftrieb. Die "Liebe zur Weisheit" hatte ihn nun zutiefst erfasst. Aber zum Christentum fand er nicht, noch nicht. Im Gegenteil. Er geriet in die Fänge der Schüler Manis und damit des Manichäismus, der das Christentum aufs schärfste bekämpfte. Diese aus dem Heidentum stammende Irrlehre nahm zur Erklärung des Übels in der Welt ein zweifaches Prinzip, das des Guten und das des Bösen, an, wobei beide einander mehr oder minder gleich mächtig gegenüberstanden. Diese Erklärung sagte dem jungen Augustinus angesichts des immer noch unentschieden scheinenden Kampfes zwischen Gut und Böse zunächst ganz gut zu. So kam es, dass er ihr lange Jahre (374-383) anhing.

Im Laufe der Zeit allerdings fielen ihm doch so mancherlei Unstimmigkeiten im Ganzen des Manichäismus auf, wobei ihm vor allem die mythologischen Gedankengänge und die allgemeine moralische Dekadenz desselben mehr und mehr abstießen. Trotzdem vermochte er sich auch dann noch lange Zeit hindurch nicht von ihm zu trennen. Immerhin machte sich hier bereits die Tiefe seines Denkens bemerkbar. Er konnte sich mit oberflächlichen Lösungsversuchen der Weltprobleme nicht abfinden. Er suchte und forschte weiter.

Inmitten dieses Hin- und Hergerissenwerdens im Suchen nach letzter Wahrheit einerseits und des Versklavtseins an die Niederungen des menschlichen Daseins andererseits starb sein Vater. Augustinus musste sich nun um einen Broterwerb umsehen. Er gründete kurzerhand eine Schule in Tagaste, wo er dann als Lehrer tätig war, als der er viel Anklang fand. So kam es, dass er bereits ein Jahr später einen Ruf nach Karthago erhielt, wo er über 10 Jahre wirkte. Sein Ansehen wuchs derart, dass er 383 eine Lehrstelle in Rom bekam. Doch blieb er dort nicht lange. Schon im nächsten Jahr ging er in die kaiserliche Residenzstadt Mailand.

Sein eigentliches Ziel dort war nun freilich ganz anderer Art gewesen. Er hatte gehofft, einen Gouverneursposten zu erhalten. Doch die Erfüllung dieses Wunsches blieb ihm versagt. Mag sein dass er aus ärmlichen Verhältnissen stammend zu wenig Verbindungen hatte. Sein ungestümer Drang nach mehr und tieferes Wissen ließ ihn diese Enttäuschung schnell vergessen, zumal er in Mailand reichlich Gelegenheit fand, sich immer mehr fortzubilden und zugleich zu glänzen. Denn Mailand war ein Kulturzentrum, wo sich alle großen und edlen Geister einfanden und Entfaltung suchten.

Hier in Mailand lebte und wirkte zu dieser Zeit auch der wortgewaltige Bischof Ambrosius, eine hocharistokratische Persönlichkeit und der gefeierte Mittelpunkt aller Schichten des Volkes, ein Mann höchster Kultur und Bildung, gewandt und mutig im Auftreten und ein guter Hirte der ihm Anvertrauten, insbesondere der Armen, Hilflosen und Entrechteten, deren unübertrefflicher Anwalt er zu jeder Zeit war. Ihn musste man hören, ihn musste man immer wieder hören. So erging es vielen, so erging es auch Augustinus. Der Inhalt seiner Predigten interessierte ihn freilich vorläufig noch in keiner Weise. Irgendwie aber blieb doch auch etwas davon hängen.

In Mailand war es auch, wo Augustinus mit den Schriften der Neuplatoniker bekannt wurde. Und das Studium dieser Philosophie war es nun, das ihm das Herz für das Christentum öffnete.

Als nun Augustinus eines Tages auch noch damit begann, die von Athanasius verfasste Lebensbeschreibung des heiligen Antonius des Einsiedlers zu lesen, kam der Durchbruch. Zwar war es ihm auch bei dieser Lektüre wieder nur um eine hervorragende Sprache und nicht um den Inhalt gegangen, doch seine "Liebe zur Weisheit" machte ihn doch allmählich auch für die darin enthaltene Weisheit empfänglich. Gott geht eben viele Wege, um einem Menschen, den er sucht, zu begegnen. So geschah es auch hier. Plötzlich stand das Ideal des Mönchtums als ein hohes erstrebenswertes Ideal vor seinen Augen, von dem er nicht mehr loskam.
Augustinus wusste nun, dass Gott ihn gerufen hatte. Ihm musste er Antwort geben. Er wollte diesem Ruf nicht mehr ausweichen. Hatte er bisher unbewusst Gott gesucht, in Wirklichkeit hatte Gott ihn gesucht und gefunden. Die Frage aber war jetzt: Was tun? Sinnend ging er eines Tages wieder einmal im Garten hin und her. Da kam ihm - unbewusst und ungewollt, aber doch offenbar im Plan Gottes gelegen - eine Kinderstimme aus der Nachbarschaft zu Hilfe. Ein Kind sang so ganz für sich immer wieder die Zeile aus einem Kinderlied: "Nimm und lies! - Nimm und lies! - Nimm und lies!" Augustinus hatte zunächst nur auf den Wortklang der kindlichen Stimme geachtet, wie auch das Kind selbst nur an seiner klingenden Stimme Gefallen hatte und sich darum gerne hörte. Doch plötzlich durchzuckte es Augustinus. Hatte nicht Antonius, dessen Lebensbeschreibung er gelesen hatte, einfach das Buch der Bücher aufgeschlagen und gelesen und dabei die Wegweisung für sein künftiges Leben gefunden? Das könnte er doch eigentlich auch versuchen.

Gedacht, getan! Augustinus eilte ins Haus, als hätte er Angst, auf sein Vorhaben zu vergessen oder etwas zu versäumen, griff nach der heiligen Schrift, schlug sie auf und begann, an der nächstbesten Stelle zu lesen, die ihm gerade vor die Augen kam. Es war die Mahnung des Völkerapostels Paulus im Römerbrief (13,13) an die Christen in Rom, doch ganz Sache zu machen und sich nicht weiter mehr dem unwürdigen und sittenlosen Schlemmerleben ihrer Zeitgenossen, der Heiden, hinzugeben, sondern "den Herrn Jesus Christus anzuziehen".

In diesem Augenblick war Augustins Zukunft entschieden. Zunächst erfüllt ihn ein unsagbarer Frieden, ein unaussprechliches Glück. Ruhe und Frieden "überströmten mein Herz wie ein starkes Licht, das alle Dunkelheit meiner Ungewissheit zerstreute", wie er später bekannte.

Es war ein weiter Weg gewesen, den der nun 32-jährige hinter sich hatte. Sein ganzes kommendes Leben stand im Zeichen der Reue wegen seines vielfachen Versagens und der Dankbarkehit darüber, dass Gott ihn nicht hatte fallen lassen, obwohl er ihm so oft den Rücken gekehrt hatte.

In seinen Bekenntnissen fasst er seine neugewonnene Erkenntnis in die ergreifenden Worte: "Spät habe ich dich geliebt, Schönheit du, so alt und so neu, spät habe ich dich geliebt. Wie konnte das geschehen? Du warst in mir, und ich selbst war außer mir. Du hast mich gerufen, und dein Schrei hat meine Taubheit bezwungen. Du ließest aufstrahlen dein Licht, und dein Glanz hat meine Blindheit verjagt. Du hast deinen Duft ausgeströmt, und ich habe ihn eingeatmet. Und nun seufze ich zu dir. Ich habe dich gekostet und habe nun Hunger und Durst nach dir. Du hast mich berührt, und ich bin entbrannt für den Frieden, den du gibst."

Nur noch wenige Wochen setzte Augustinus als Professor der Rhetorik seine Unterrichtstätigkeit fort. Dann legte er sein Amt nieder. Zusammen mit seiner Mutter, seinem Sohn Adeodatus und einigen Freunden ging er zunächst nach Cassiacum, dreißig Kilometer nördlich von Mailand gelegen, um sich dort im Haus eines Freundes auf die Taufe vorzubereiten, die er am 23. April 387 aus der Hand des Bischofs Ambrosius empfing.
Ambrosius war es auch gewesen, der in den Jahren zuvor die Mutter Monika in ihrem Leid getröstet hatte: "Ein Sohn so vieler Gebete und Tränen kann nicht verloren gehen." Nun war für sie die glücklichste Stunde ihres Lebens gekommen.

Von der Mutter seines Sohnes Adeodatus, die aus Standesgründen nicht seine Frau werden sollte, obwohl er ihr offenbar sehr zugetan war, hatte er sich bereits um 385 getrennt. Anlass dazu war seine Verwandtschaft gewesen, die ihm eine standesgemäße Braut ausgesucht hatte. Doch war es aus unbekannten Gründen zu keiner Eheschließung gekommen.

Etwas in ihm drängte nun zur Rückkehr nach Afrika, vielleicht unterstützt von seiner Mutter Monika. Doch sollte sie ihre Heimat nicht mehr sehen. Gerade, als die kleine Gruppe: Augustinus, seine Mutter, sein Sohn Adeodatus und einige Freunde im Hafen von Ostia das Schiff nach Afrika besteigen wollten, starb die Mutter. Bemerkenswert sind ihre Worte: "Begrabt meinen Leib, wo ihr wollt, nur gedenkt meiner im Gebet!"

Im Jahre 388 kam Augustinus in seiner Heimat an. Ein Jahr darauf starb sein Sohn Adeodatus, dem er zutiefst verbunden war. Er verkaufte sein väterliches Erbe und schuf ein Heim, wo er mit seinen Freunden ein gemeinsames Leben des Gebetes und der Arbeit, strenger Aszese und intensiven Studiums der religiösen und philosophischen Fragen führte. Alles nach dem Vorbild des Mönchsvaters Basilius. Das erste Mönchskloster des Abendlandes war entstanden.

Nur drei Jahre konnte sich Augustinus dieses stillen und ungestörten Lebens in dieser seiner Gemeinschaft erfreuen, als unerwartet eine bedeutsame Wendung eintrat. Augustinus hatte in Angelegenheiten seiner Gemeinschaft in Hippo Regius zu tun. Nur für einige Tage. Gerade an einem dieser Tage machte Valerius, der Bischof der Stadt, seine versammelte Gemeinde darauf aufmerksam, dass er bei seinem Alter nicht mehr imstande sei, alle Aufgaben seines Amtes zu erfüllen und darum dringend eines Priesters bedürfe, der ihm einen Teil derselben abnehmen könne, besonders was die Predigttätigkeit betreffe. Die Anwesenheit Augustins war nicht unbemerkt geblieben. Nach einigem Hin und Her, wer dafür in Frage käme, rief plötzlich eine Stimme: "Augustinus!" Und sofort schlossen sich andere an. Es wurden mehr und immer mehr. Schließlich war man sich einig. Nur Augustinus selbst war sich nicht klar, ob er die Wahl annehmen dürfe, zumal er sich bis dorthin in keiner Weise mit dem Gedanken, Priester zu werden, befasst hatte. Doch er wehrte sich vergebens. Überdies musste er im Willen der ganzen Gemeinde irgendwie den Willen Gottes erkennen, dem er sich nicht entziehen durfte.

Es fiel Augustinus nicht leicht, sein Studium und das stille Leben in Tagaste aufzugeben und sich der praktischen Seelsorge zuzuwenden. Mehr als bisher musste er nun seinen Blick auf die Erfordernisse des Alltags richten, auf die Probleme der Pastoral, auf die Fragen der Theologie und der lebendigen Tradition wie überhaupt auf die vielen Anliegen der Gläubigen, die zu ihm kamen.

Vier Jahre später kam wieder eine Wendung. Bischof Valerius suchte einen Koadjutor, einen Hilfsbischof, der ihm ob seines fortgeschrittenen Alters noch weitere Aufgaben abnahm und schließlich sein Nachfolger werden könne. Diesmal gab es nun kein großes Überlegen mehr. Es kam nur Augustinus dafür in Frage, der sich in die Seelsorge so gut eingearbeitet und so guten Anklang gefunden hatte. Und ein Jahr später (396) kam auch schon die letzte Wendung. Bischof Valerius starb und Augustinus wurde Bischof von Hippo, um dann über 30 Jahre hindurch seines Amtes zu walten.

Doch nun stand er bereits mitten in der Seelsorge. Seine Ausstrahlungskraft war derart, dass er wie von selbst zum Führer des afrikanischen Episkopates wurde und damit zum theologischen Gewissen und wachen Bewusstsein der ganzen afrikanischen Kirche und darüber hinaus.

Bei all seiner reichhaltigen Tätigkeit gab aber Augustinus seine mönchische Lebensweise nicht auf. Er verlegte sein Kloster von Tagaste nach Hippo und führte zusammen mit der ganzen Geistlichkeit der Stadt ein klösterlichen Gemeinschaftsleben, das durch die von ihm entworfene Regel geformt war. Sie begann mit den Worten: "Vor allem, liebe Brüder, sollt ihr Gott lieben und dann den Nächsten." Ihr Ziel war: "In Eintracht zusammen zu wohnen und ein Herz und eine Seele (Apg 4,32) in Gott zu sein." So war ihr Grundprinzip die dienende Liebe an Gott und den Mitmenschen, wie sie das Evangelium fordert.

Ein besonderes Moment dieses Lebens war das Gebet, das die apostolische Tätigkeit befruchten sollte. Von seinem Leben in Tagaste schreibt sein Freund und erster Biograph, der Bischof Possidius: "Dem Gesetz des Herrn galt all sein Sinnen Tag und Nacht (Ps 1,2). Und was ihn Gott im betrachtenden Gebet schauen und erkennen ließ, das lehrte er die Menschen durch sein Wort und seine Schriften." Als er Bischof war und "die Fülle der Arbeit ihn kaum noch zu Atem kommen ließ", da litt der zur Beschauung Neigende schwer darunter. Doch fand er sich damit ab, weil er darin den Willen Gottes erkannte, der für ihn immer entscheidend war.
Dabei vollbrachte er Ungewöhnliches in jeder Hinsicht: in der regen Predigttätigkeit, in der Katechese wie auch durch sein Schrifttum, worin er den Kampf aufnahm gegen die Irrlehrer seiner Zeit: die Manichäer, Pelagianer und Semipelagianer wie gegen die Donatisten und Arianer. Stellten die Manichäer den einen allmächtigen Schöpfergott in Frage, so gefährdeten die Pelagianer und Semipelagianer den Vorrang göttlichen Gnadenwirkens, während die Donatisten durch ihre übertriebenen Forderungen zu Kirchenzucht und Sittenreinheit die Einheit der Kirche zerstörten und die Arianer die wahre Gottheit Christi leugneten und damit dem Christentum die Grundlage entzogen. Nur ein scharfer Geist und eine gründliche Kenntnis der Heiligen Schrift konnten dagegen ankommen. Er wusste sehr wohl, dass die Wirren im Innern der Kirche, die nach dem Ende der blutigen Verfolgungen einsetzten, viel gefährlicher war, als alle Verfolgung von außen.

Aber nicht nur die innerkirchliche Lage war zu Zeiten Augustins ungemein schwierig, auch die allgemeine politische war schwer und trübe und brachte viel Besorgnis und Unsicherheit in das Leben der Stadt und des ganzen Landes. Die große Völkerwanderung jener Zeit machte sich nun auch in Afrika bemerkbar. Germanische Völker drangen immer tiefer in das römische Imperium ein. Die Westgoten eroberten sogar Rom (410), die Vandalen verwüsteten die spanische Provinz und setzten nach Afrika über (429). Das scheinbar unbesiegbare Weltreich der Römer war am Vergehen. Not und Tod und vielfaches Elend hatte der Vorgang zur Folge. Was sollte werden?, fragte man sich, wenn die Macht Roms die Völker nicht mehr zu schützen, nicht mehr gegen die Masseneinfälle aufzukommen vermag? Ist es vielleicht gar schon der Beginn des Weltuntergangs?

Mitten in dieser allgemein gedrückten Stimmung schrieb Augustinus seinen "Gottesstaat" ("De Civitate Dei"), das sein Hauptwerk wurde. Er unterscheidet darin zwei Mächte, zwei Gemeinschaften, zwei "Staaten", den Staat Gottes einerseits und den des Bösen andererseits. Den einen nennt er die Civitas coelestis, womit er aber nicht etwa das Jenseits, also den Himmel versteht, sondern die Gemeinschaft all derer, die zu Gott gefunden haben: ob innerhalb oder außerhalb des Christentums, ob vor oder nach Christus. Den anderen nennt er die Civitas terrena, worunter er aber wiederum nicht den irdischen Staat versteht, sondern jene Macht, die sich als gottwidrige Macht erweist, also das Reich der gefallenen Engel, das Reich der Verdammten wie auch zugleich das Reich aller, die im Hass gegen Gott leben.

Demnach können also zum Gottesstaat auch solche Menschen gehören, die ohne ihre Schuld guten Glaubens sich außerhalb der Kirche befinden, aber voll Sehnsucht nach Gott sind, während solche, die äußerlich zur Kirche, zum Christentum gehören, innerlich vielleicht Gott gegenüber eine ablehnende Haltung einnehmen und damit dem gottwidrigen Staat zuzurechnen sind.

Man sieht daran bereits: im Gottesstaat des hl. Augustinus handelt es sich nicht um einen theokratischen Staat auf dieser Welt, überhaupt nicht um einen konkreten Staat, sondern um eine weite Schau des großen Heilsgeschehens, das zwar in der Kirche Christi sichtbare Formen angenommen hat, aber keineswegs von Seiten Gottes darauf beschränkt ist. Gott kann, um den Menschen das Heil zu schenken, neben dem gewöhnlichen Weg auch andere Wege gehen.

Der große, gewaltige, ewige Gott lenkt alles Geschehen in Raum und Zeit, das vom Kreuz Christi gnadenvoll überschattet ist, bis am Ende der Zeiten das Weltgericht die große Vollendung und Offenbarung zugleich bringt, worin Gott alles in allem ist und die Seinigen einführt in seine Herrlichkeit.

Ohne es auch nur im Geringsten zu ahnen, hat Augustinus mit seinem Gottesstaat die Grundlage für das geschaffen, was aus dem großen Zusammenbruch des alten römischen Weltreiches an Neuem werden sollte, für das es zu damaliger Zeit begreiflicher Weise keinerlei Vorstellung gab: für das Sacrum Imperium, das Heilige Reich des Mittelalters, das in seiner vollen Bezeichnung "das Heilige Römische Reich Deutscher Nation" geheißen hat. Es war die erste große europäische Gemeinschaft, die wenn auch nicht alle, so doch fast alle Länder dieses Erdteils umfasste und das gewaltige Bollwerk gegen den Ansturm aus dem Osten darstellte.

Die Besinnung auf Augustins Werk könnte auch den Völkern der Gegenwart vor allem in Europa manchen Auftrieb geben und ihnen bewusst werden lassen, dass es um mehr als nur um materielle oder nationale Interessen geht, dass es sich um das christliche Menschenbild handelt, das durch den Atheismus zerstört werden soll.
Im Mai 429 schlossen die Vandalen die Bischofsstadt Hippo ein. Augustinus bemühte sich mit aller Kraft, die materiellen und seelischen Nöte der Belagerten nach Möglichkeit zu lindern, ihnen Mut zu machen und sie vor Verzweiflung zu bewahren. Da befiel ihn plötzlich ein heftiges Fieber, dem er in seinem Alter nicht mehr gewachsen war. Für seine Nachfolge im Bischofsamt hatte er rechtzeitig gesorgt. Alles war geordnet und geregelt. Er spürte, dass er nur noch Tage zu leben hatte. Diese wollte er ganz "Gott und der Seele" widmen. Am 28. August 430 verschied er im Herrn.

Sein Leib wurde in der Basilika Pacis zur Ruhe gelegt. Als der Vandalenkönig Thrasamund im Jahre 512 die katholischen Bischöfe nach Sardinien verbannte, nahmen sie die Reliquien mit. Der Langobardenkönig ließ sie später in die Residenzstadt Pavia übertragen. Dort ruhen sie auch heute noch in der Kirche San Pietro in ciel d'oro, nahe der Stadt Mailand, wo Augustinus getauft worden war.

 

Hl. Augustinus | Augustinerkirche Wien | © Augustiner Wien

Hl. Augustinus | Augustinerkirche Wien | © Augustiner Wien

Die Sendung des hl. Augustinus

 

Augustinus zählt zu den großen Philosophen der Weltgeschichte und zu den bedeutendsten Theologen der gesamten Christenheit. Er wird "Genius" und "Vater des Abendlandes" genannt. Mit Recht. Denn er war es, der die Synthese zwischen antikem und christlichem Denken herzustellen vermochte. Sein Geist hat das ganze Mittelalter entscheidend mitgeformt. Manche seiner Ideen berühren sich auffallend mit denen des modernen Existenzialismus, während andere dem Dynamismus eines Theilhard de Chardin nahe kommen. Auch die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils haben viel von seinem Geist.

Die Christenheit nennt ihn "Kirchenvater" und die katholische Kirche zählt ihn zu den großen Kirchenlehrern und hört gerne auf ihn. Freilich, auch er war ein Kind seiner Zeit, wie dies bei jedem Menschen der Fall ist. Damit ist die eine Grenze angedeutet, die kein Mensch, auch kein Heiliger überspringen kann. Sein Sprachstil spricht uns heutigen nüchternen Menschen nicht so recht an. Doch sollte uns das nicht hindern, nach dem darin verborgenen Gold seiner Weisheit zu graben.

Und wie die gesamte Kirche aus Menschen besteht und darum bei aller Vollkommenheit der übernatürlichen Gaben und Vollmachten auch immer wieder ihre durch die menschliche Natur bedingte Begrenztheit erfährt, so auch der heilige Augustinus. Damit stehen wir vor der zweiten Grenze. Auch Heilige sind nun einmal Menschen und damit der allgemeinen menschlichen Begrenztheit unterworfen. So ist es nicht verwunderlich, wenn wir in seinen Schriften auch mancherlei Nachwirkungen seines langen Weges spüren, den er zu gehen hatte, bis er zu Gott fand.

Von da aus verstehen wir auch den Zentralgedanken des hl. Augustinus: "Gott und die Seele" und sonst nichts. Das war sein Grundsatz, seine innerste Haltung, sein Ziel. Alles andere erschien ihm wie Spreu. Dieses sein Frömmigkeitsideal hat die Mystik der späteren Jahrhunderte, besonders die des Mittelalters geprägt.

Freilich darf dieses Wort "Gott und die Seele" nicht im individualistischen Sinn gesehen und damit missverstanden werden. Es besagt keinerlei Ausschaltung des Mitmenschen. Wie er selbst allzeit für die Menschen in Not zur Verfügung stand und in der Seelsorge aufging und wie er selbst sein Amt als Dienst am Mitmenschen verstand, so wollte er, dass Gottesdienst und Dienst am Mitmenschen allzeit in lebendiger Verbindung miteinander stehen. Er, der um seiner brennenden Gottesliebe willen mit einem aufflammenden Herzen in der Hand dargestellt wird, hatte, das Wort des Evangelisten Johannes vor Augen: Wie soll einer Gott lieben, den er nicht sieht, wenn er nicht einmal den Mitmenschen liebt, den er sieht ( 1 Joh 4,20)?

Wenn wir Augustinus recht verstehen wollen, müssen wir zwei Dinge im Auge behalten: sein scharfes philosophisch-theologisches Denken einerseits und seine allseitige biblische Orientierung andererseits, wobei aber zugleich zu beachten ist, dass er nicht vom "grünen Tisch" aus spricht, sondern als Hintergrund seine eigene Lebenserfahrung hat, die ja bekanntlich nicht immer positiver Art war, ganz gleich ob das nun Fragen des Leib-Seele-Verhältnisses im allgemeinen oder speziell Fragen der Ehe betraf. Das nämlich gilt auch hinsichtlich des Manichäismus, dem er selber auf lange Zeit verfallen war.

Auch bezüglich der Gnadenlehre müssen wir seinen Werdegang berücksichtigen. Kämpfe bringen gern auch Überbetonungen und damit Einseitigkeiten mit sich. Seine Größe liegt darin, dass er bereit war, seine eigenen Auffassungen neu durchzudenken und zu korrigieren, als das oberste Lehramt der Kirche gegen ihn entschieden hatte. Es war für ihn selbstverständlich: Roma locuta, causa finita (Rom hat gesprochen, damit ist die Angelegenheit erledigt).

Daran zeigt sich seine unerschütterliche Treue zur Kirche. Man kann Augustinus nicht gerecht werden, wenn man ihn nicht vor allem als Mann der Kirche sieht, dem nichts so sehr am Herzen lag als das Mitdenken, Mitfühlen, Mitwirken mit der Kirche, in der er den fortlebenden Christus sah.

Wir werden aber Augustinus immer noch nicht kennen und genügend verstehen, wenn wir nicht seine "Bekenntnisse" kennen. In ungemein mutiger Offenheit voll tiefster Demut und innigst bewegter Dankbarkeit bekennt hier Augustinus sein vielfaches Versagen und Gottes unergründliches Erbarmen. Sie sind das Magnificat einer dankbaren Seele, der lodernde Hymnus eines flammenden Herzens. Zum Lob und Preis Gottes bekennt er ohne alle Schonung seiner selbst, was Gott Großes an ihm getan hat, dass er ihn aus den Tiefen menschlicher Schwachheit und aus dem Dunkel des in der Gottesferne irrenden Geistes herausgeholt und an sich gezogen hat.

Weisheit und Schönheit waren einst seine Ideale gewesen, nach denen sein unruhiger Geist Ausschau gehalten hatte. Überall hatte er sie gesucht, nur nicht in Gott, bis er erkannte, dass Gott selber der Inbegriff aller Weisheit und Schönheit ist. Ein unendliches Glücksgefühl hatte ihn erfüllt, als er an seinem Ziele angelangt war, wohl wissend, dass Gott als Ziel zu groß ist, als dass das Erdenleben genügen konnte, dieses Meer von Glück auszuschöpfen, diese Sonne der Schönheit offenen Auges zu schauen, ohne geblendet zu werden. Darum war sein Streben in einem Maße auf die Ewigkeit gerichtet, dass er - freilich ohne die irdischen Aufgaben zu übersehen oder auch nur gering zu schätzen - in sein innersten Gedanken mehr im überirdischen als im irdischen Bereich lebte.

Augustinus lebt und wirkt fort in der gesamten Kirche, in ihrer Theologie, Pastoral und Frömmigkeit, ganz besonders aber in den Orden, die von seiner Regel geformt und getragen werden. Hauptträger des Namens sind die Augustiner und die Regulierten Kanoniker, die in den deutsprachigen Ländern Augustiner-Chorherren heißen. Hinzukommen eine Reihe von Orden, die nach der Augustinusregel leben wie die Dominikaner, Prämonstratenser, Serviten, Alexianer u.a., ferner die Frauenorden, die sich Augustinerinnen nennen, wobei die Augustinerinnen und die Augustiner-Chorfrauen zu unterscheiden sind, sowie eine weitere große Gruppe von Ordensfrauen wie die Armen Schulschwestern u.a., die die Augustinusregel als Grundform ihres Lebens haben, außerdem noch verschiedene Kongregationen mit einfachen Gelübden.

An Augustinus sieht man deutlich, wie wir die Heiligen sehen sollen: nicht als Supermenschen, nicht als Übermenschen, nicht als Ausnahmemenschen, sondern als ganz gewöhnliche Menschen: als Menschen mit Leib und Seele, aus Fleisch und Blut, als Menschen, die dem Irrtum und der menschlichen Schwäche unterworfen sind, als Menschen, die von Gott in keiner Weise sachte über Schwierigkeiten hinweggehoben wurden, als Menschen, die uns einfach nichts, aber auch gar nichts voraushaben.

Wenn sie nun aber dennoch zu Heiligen geworden sind, dann geschah dies eben durch das innige Zusammenwirken zwischen Gott und ihnen selbst. Es gibt wohl Heilige, die einen kurzen und geraden Weg zu Gott gehen durften. Augustinus gehört nicht zu jenen glücklichen. Aber wäre er dieser große Heilige geworden, wenn Gott ihm nicht einen so schwierigen Weg zugedacht hätte? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass es nicht die ihm zuteilgewordene Gnade allein war, und dass auch er selbst es nicht allein war, dass er zum Heiligen herangereift ist, sondern dass es Gott war mit ihm und er mit Gott. Nur so konnte er der werden, als der er vor uns steht.

 

 

 

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